Gottesdienst für Zuhause

Zum Sonntag Kantate feiern wir zwar wieder Gottesdienst in der Christus-Kirche, aber mit unter Corona-Einschränkungen: Unter anderem können nur 43 Personen den Gottesdienst besuchen. Darum gibt es hier weiterhin einen Gottesdienst für Zuhause. Mit dem Gottesdienst verabschiedet sich Pfr. Dittmann zugleich aus der Gemeinde.

Psalmgebet

Singt dem Ewigen, singt ein neues Lied,
denn staunend sehen wir: Alles wird gut.
Er hilft uns erkennen was recht ist

Wir loben und preisen unseren Gott.
Er steht zum Hause Israel
und öffnet uns die Türen.

Darum singen und spielen wir,
Zur Gitarre und mit Pauken und Trompeten.
Und können wir nicht singen, summen wir.

Das Meer braust, die Berge beben,
der Wind bläst, das Feuer tanzt
und die Flüsse wiegen sich im Takt.

Da kommt der Gerechte, um Recht zu sprechen.
Alles, was lebt, beugt sich vor ihm,
doch er richtet alles mit Liebe auf.

Nach Psalm 98

Bibeltext

Unterwegs kam Jesus zu der Stelle, wo der Weg vom Ölberg nach Jerusalem hinabführt. Da brach die ganze Schar der Jüngerinnen und Jünger in lauten Jubel aus. Sie lobten Gott für all die Wunder, die sie miterlebt hatten. Sie riefen: »Stimmt ein in unser Loblied auf den König, der im Namen des Herrn kommt. Friede herrscht im Himmel und Herrlichkeit erfüllt die Himmelshöhe!«

Es waren auch einige Pharisäer unter der Volksmenge. Die riefen ihm zu: »Bring doch deine Jünger zur Vernunft!« Jesus antwortete ihnen: »Das sage ich euch: Wenn sie schweigen, dann werden die Steine schreien!«

Lukas 19,37–40 (BasisBibel)

Impuls: Das Wesentliche ist ohne Gewicht

Was ist das Wesentliche? Antoine de Saint-Exupéry erzählt einmal davon, wie er mit einem Freund in einem schlichten Restaurant am Fluss zu Mittag isst. Sie sitzen in der Sonne, trinken Pernod und laden zwei Matrosen, die auf einem Boot arbeiten, dazu ein: einen Holländer und einen vor den Nazis geflohenen Deutschen. Es wird ein kleines, fröhliches Sommerfest am Vorabend des Krieges. Was den Nachmittag so unvergesslich macht, kann Saint-Exupéry gar nicht sagen. Wie in einem Brennglas bündelt sich das Glück des Nachmittags im Lächeln: im Lächeln der Freunde, der Matrosen, der Kellnerin. Und dann schreibt er: „Das Wesentliche hat meistens kein Gewicht.“

Oft gibt es viel Brimborium, um ein Ereignis besonders zu machen. Das war zum Beispiel der Fall, als König Salomo den Tempel in Jerusalem einweihte: Salomo rief die führenden Israeliten nach Jerusalem. Sie sollten dabei sein, als die Bundeslade ins Allerheiligste des Tempels gebracht wurde. Die Leviten sangen und spielten Zimbeln und Harfen, die Priester bliesen die Trompeten. Nachdem sie den Tempel verlassen hatten, umhüllte eine Wolke den Tempel. Die Gottes Herrlichkeit erfüllte das ganze Haus, so dass die Priester es nicht mehr betreten konnten (2. Chronik 5,2–14). Das Wesentliche waren weder der König, noch die Priester, noch die Musik, sondern Gottes Herrlichkeit, die das Haus erfüllte.

Heute ist der Sonntag „Kantate“, d.h. auf lateinisch „Singt!“. Doch in diesem Jahr schweigen die Chöre und Gemeinden. Trotzig könnte man auf den Streit von Jesus mit den Pharisäern verweisen: Wenn die Gemeinde schweigt, müssen eben die Steine singen. Ein Kirchenmusikdirektor protestiert: „Ein Gottesdienst ohne Gemeindegesang ist kein Gottesdienst.“ – Ist der Gesang das Wesentliche? Wir feiern heute erstmals wieder einen Gottesdienst. Es gibt Musik mit Orgel, Gitarre und Saxofon. Hinter Gesichtsmasken summen wir drei Liedstrophen. Die weiteren Lieder und Strophen singen wir dann eben nach dem Motto aus dem Kolosserbrief: „Singt Gott dankbar in euren Herzen!“ Auch das ist eine Möglichkeit, den Sonntag Kantate zu feiern.

Das Wesentliche bei der Einweihung des Tempels war: „Die Herrlichkeit Gottes erfüllte das ganze Haus“. Niemand konnte mehr in den Raum zurück, weder König noch Ehrengäste, weder Priester noch Leviten mit ihrer feierlichen Musik. Die Herrlichkeit Gottes verdrängte alles andere. Die Herrlichkeit Gottes ist das Wesentliche – aber was heißt das? Das schöne Wort „Herrlichkeit“ ist leider völlig unpassend als Übersetzung für das hebräische Wort kawod. Wortwörtlich geht es um das Gewicht Gottes. Was Gewicht und Bedeutung hat, zeigt sich im Leuchten und im Glanz, in Pracht und Gloria. Und doch ist das alles schon wieder nur Abglanz des Wesentlichen. Das Wichtige und Wesentlich lässt sich oft nicht auf den Punkt bringen. Es ist widersprüchlich: Das Wichtige hat meistens kein Gewicht – und verdrängt doch alles andere.

Das Göttliche ist ein Mysterium, ein Geheimnis. Einer der wenigen evangelischen Mystiker, Gerhard Tersteegen, hat das besungen: „Gott ist gegenwärtig.“ Gott ist wie Luft, die alles füllt. Wie ein Meer, in das ich eintauche. Wie Sonnenstrahlen, die auf mein Gesicht fallen. Es sind poetische Bilder, die das Unmögliche beschreiben wollen: Die Gegenwart Gottes ist ein Glänzen und Leuchten. Doch all das, worin wir dies erfahren können, ist nur Abglanz und nicht selbst das Wesentliche. Das Mysteriöse beschreibt Tersteegen als etwas, das in mir geschieht: in Herz und Geist. Dort ereignet sich ein Wunder. Wo ich gehe, sitze, stehe, kann es geschehen, das Gott sich blicken lässt: in einer Geschichte oder einem Psalm, im Klang der Orgel, in einem Lied, das ich mitsumme. In einem freundlichen Blick. In einem Lächeln. Das Wesentliche der Gegenwart Gottes ist leicht, schwebend, flüchtig.

Musik ist für diese Leichtigkeit ein schönes Gleichnis. Eine ältere Dame feiert ihren runden Geburtstag. Die Familie ist da, der Bürgermeister, der Pastor. Irgendwann kommt man auf Musik zu sprechen. Jahrzehntelang hat die Dame im Kirchenchor mitgesungen, bis es nicht mehr ging. Im Wohnzimmer steht eine tolle Musikanlage. Der Pastor sagt: „Hätte ich das gewusst, hätte ich Ihnen die neue CD von unserem Kirchenchor mitgebracht.“ Aber die Tochter winkt ab: „Würde sie sowie nicht anhören. Mutter liebt Musik. Sie summt den ganzen Tag vor sich hin. Wir dachten, wir machen ihr mit der Anlage eine Freude. Aber sie benutzt sie gar nicht.“ Darauf die alte Dame: „Ich brauche das auch nicht. Ich bin selbst so voller Musik.“

Darum geht es: Selbst voller Musik sein. Das Wesentliche liegt nicht im perfekten Klang oder einer großartigen Inszenierung. „Das Wesentliche hat meistens kein Gewicht.“ Das Wesentliche liegt vor Augen in alltäglichen Momenten – erkennbar, wenn Herz und Geist gottesvoll sind. Denn wenn das Göttliche Raum greift, sehe ich das Glänzen Gottes, wo ich gehe, sitze, stehe. Wenn das Göttliche Raum greift, fangen die Steine an zu singen und summen. Wenn das Göttliche Raum greift, fängt die Welt an zu lächeln.

Segensgebet

Sei gesegnet mit den ersten Morgenstrahlen.
Sei gesegnet, wenn die dunkle Nacht sich auf dich senkt.
In deinem Lächeln und in deinen Tränen sei gesegnet.
Auf allen Wegen sei in Gottes Segen eingehüllt.

Pfarrer Karsten Dittmann