Doppelpunkt für Zuhause

Doppelpunkt ist ein besonderer Gottesdienst – und dieser Gottesdienst erst recht: Da wegen der Corona-Pandemie kein regulärer Gottesdienst in der Christus-Kirche möglich ist, kommt dieser Gottesdienst in Klipp-Manier daher. Thematisch dreht sich alles um enge Grenzen und Demut.

Es gibt diesen Doppelpunkt auch als „Gottesdienst zum Mitnehmen“ auf der Leine vor der Kirche, als Vorführung in der Christus-Kirche, bei Facebook (ab 10:15 Uhr) und auf Youtube.

Psalmgebet

Ich bin nicht klüger als andere,
nicht besser und nicht stärker.
Ich bin ein Mensch. Nicht mehr und nicht weniger.

Ich will nicht hoch hinaus
und nicht auf andere herabsehen.
Mit beiden Beinen auf dem Boden, dort will ich stehen.

Weder feige noch übermütig,
weder unterwürfig noch überheblich.
Ich weiß, was ich kann und kenne mein Grenzen.

So wird mein sehnsuchtsvolles Herz still.
Wie ein gestilltes Kind an der Brust der Mutter
kommt meine Seele zur Ruhe.

Offen bin ich für deine Gegenwart.
Ich warte auf dich, geduldig und beharrlich.
In diesem Augenblick liegt Ewigkeit.

Nach Psalm 131

Bibeltext

Jesus erzählte ein Gleichnis. Er wandte sich damit besonders an die Menschen, die selbstgerecht sind und auf andere herabsehen:

»Zwei Männer gingen hinauf in den Tempel, um zu beten. Der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zolleinnehmer. Selbstsicher stand der Pharisäer dort und betete: ›Ich danke dir, Gott, dass ich nicht so bin wie andere Leute: kein Räuber, kein Betrüger, kein Ehebrecher und auch nicht wie dieser Zolleinnehmer da hinten. Ich faste zwei Tage in der Woche und gebe von allen meinen Einkünften den zehnten Teil für dich.‹ Der Zolleinnehmer dagegen blieb verlegen am Eingang stehen und wagte es nicht einmal aufzusehen. Schuldbewusst betete er: ›Gott, sei mir gnädig und vergib mir, ich weiß, dass ich ein Sünder bin!‹

Ihr könnt sicher sein, dieser Mann ging von seiner Schuld befreit nach Hause, nicht aber der Pharisäer. Denn wer sich selbst ehrt, wird gedemütigt werden; aber wer sich selbst erniedrigt, wird geehrt werden.«

Lukas 18,9-14 (Hoffnung-für-alle-Bibel)

StattPredigt: Meine engen Grenzen

Wir leben in einer Zeit, in der die Demut neu entdeckt wird. Wahrscheinlich passt Demut einfach gut in die Dauerkrise der modernen Welt. Die Probleme sind größer, als dass einzelne sie noch handhaben könnten: Finanzkrise, Bankenkrise, Flüchtlingskrise, Demokratiekrise, Corona-Krise, Klimakrise.

Da sitzen sie dann am Sonntagabend bei „Anne Will“ im Sessel und plaudern über Demut: Bänker und Politiker, Wissenschaftler und Fußballballstars. Man gibt sich bescheiden. Das ist sympathisch und kommt gut an.

Egal, ob die Leute in den Talkshows das mit der Demut ernst meinen: Ich finde es gut, dass neu darüber Demut nachgedacht wird. Denn ich glaube, das Wort hilft uns, unseren Blick auf etwas wichtiges zu richten: Wir müssen uns ehrlich eingestehen, wir kommen an unsere Grenzen.

Erstaunlich, dass die Demut plötzlich wieder auftaucht. Lange Zeit war sie eher verpönt. Demut klingt einfach zu sehr nach Unterwürfigkeit, nach Selbsterniedrigung, nach sich klein machen oder sich klein fühlen. Oder es erinnert an Demütigungen, die wir vielleicht selbst erfahren haben: durch Eltern, durch Lehrer, durch Vorgesetzte. Keine Frage: Es gibt eine problematische Seite der Demut.

Aber es gibt eben auch diese andere, wichtige Seite: Sich nichts vorzumachen. Sich nichts einzubilden. Demut hilft, mit unserer Begrenztheit zu leben. Sind die Maßnahmen in der Corona-Krise angemessen? Oder sind sie überzogen? Wir wissen es nicht. Erst die Zukunft wird es zeigen. Und so sitzen sie in den Talkshows und reden von Bescheidenheit und neuer Demut.

Unser Wissen ist begrenzt. Ich sehe immer nur einen kleinen Ausschnitt. Keiner hat die völlige Übersicht. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Was wir heute in guter Absicht tun, kann sich morgen als falsch herausstellen. Vielleicht erweisen sich meine tiefsten Überzeugungen einmal als Irrtum. Auch unsere Lebenszeit ist begrenzt. Im lateinischen Wort für Demut „humilitas“ steckt „humus“, die Erde. Aus Erde sind wir gemacht. Zur Erde kehren wir zurück.

Demut, sagt der französische Denker Andrè Comte-Sponville „ist die Tugend des Menschen, der weiß, dass er nicht Gott ist“.

Das Gefühl der Demut entsteht, wenn mir meine Begrenztheit im Angesicht der Unendlichkeit bewusst wird. Vor Jahren habe ich eine Reihe von Bildern gesehen. Stellen Sie sich ein junges Paar vor, auf einer Decke im Grünen. Und nun stellen sie sich vor, wie die Kamera sich himmelwärts wegbewegt. Sie sehen das Paar auf einer Wiese, in einem Park, in einer Stadt, in einem Land, auf einem Kontinent, auf der Erde und immer so weiter: die Erde im Sonnensystem, die Milchstraße, die Galaxie. Das Universum ist grenzenlos. Und Sie sind wie das Paar auf der Decke ein winziger, begrenzter Teil in diesem unvorstellbar großen Ganzen. Das Gefühl, das sie dabei vielleicht empfinden, ist Demut.

Die Erkenntnis, die damit verbunden ist, hat eine befreiende Kraft. Jesus erzählt davon, wenn er uns den Frommen im Tempel zeigt. Stolz steht er da. Hochmütig blickt er auf andere herab. Er denkt, er wäre sonst was. Man kann nur Mitleid mit ihm haben. In seinem Stolz bleibt er in seinen engen Grenzen. In seiner kurzen Sicht. – Das wird deutlich, wenn Jesus uns den Menschen hinten in der Ecke zeigt. Wir hätten ihn sonst übersehen. Der sieht seine Unvollkommenheit, seine Fehler, seine Ängste und Zweifel. Er sieht seine Grenzen. Und Jesus sagt: Er geht befreit nach Hause.

Befreit dazu, die selbstgezogenen Grenzen zu überschreiten. Ich brauche mir nichts einzubilden: Mein Wissen ist begrenzt. Vielleicht weiß und sieht mein Gegenüber mehr als ich. Es gibt den schönen Spruch, dass Gott uns einen Mund und zwei Ohren gegeben hat – als Hinweis darauf, dass wir doppelt soviel zuhören sollen, als wir reden.

Meine Möglichkeiten sind begrenzt. Keiner kann alles, aber jeder kann etwas. Was uns Menschen groß macht, ist unsere Fähigkeit zusammen zu arbeiten – und in aller Demut anzuerkennen: Manches können andere besser als ich.

Meine Lebenszeit ist begrenzt. Mein Gegenüber ist genauso begrenzt wie ich. Er ist verwundbar und verletzlich – wie ich. Wie ich ist er darauf angewiesen, dass man ihm seine Fehler verzeiht. „Wo Demut ist, da ist auch Nächstenliebe“, sagt Augustinus.

Das ist der Segen der Demut: Ich sehe meine engen Grenzen und atme doch befreit auf. Vielleicht hilft uns die Corona-Krise dabei, mit der Demut auch ihre befreiende Kraft zu entdecken. Ich bin ein Mensch, nicht Gott. Ich habe nicht alles im Griff. Vieles entgleitet mir. „Ich bin nicht klüger als andere, nicht besser und nicht stärker. Ich bin ein Mensch – wie du. Nicht mehr und nicht weniger.“ Ein Mensch, in engen Grenzen und doch frei.

Segensgebet

Gütiger Gott, alle Tage willst du bei uns sein.
Lass uns spüren: Du bist uns nah.
Hilf uns, unseren Weg fröhlich zu gehen,
auch in Schwierigkeiten.
Gib uns und dieser Welt Frieden.

Pfarrer Karsten Dittmann, Ev. Kirchengemeinde Beckum